Seit 30 Jahren im Dienst der Umwelt
Hans-Joachim Herrmann, Betriebsleiter des Entwässerungsbetriebes, blickt auf die Entwicklung der Wittenberger Abwasserentsorgung
Der Entwässerungsbetrieb ist gerade 30 geworden. Wie waren eigentlich damals die Ausgangsbedingungen?
"In den 1980er Jahren gehörte der damalige Kreis Wittenberg in Bezug auf die Abwasserentsorgung zu den schlechtesten der DDR. Die gesamte Stadt, die damals rund 54.000 Einwohner zählte, und die gesamte Wittenberger Industrie entsorgten ihr Abwasser über sieben Einleitstellen in die Elbe. Und das wohlbemerkt ungereinigt!"
Wann fiel die Entscheidung zum Bau einer Kläranlage?
"Dazu kann ich nur sagen, dass gut Ding offenbar Weile haben will. Denn in den 1970er/Anfang der 1980er Jahre gab es bereits Aktivitäten zum Bau einer Kläranlage. Sie sollte damals von den Stickstoffwerken Piesteritz (SKW) errichtet werden, wurde aber nie realisiert. Ende der 1980er Jahre setzen sich Umweltinitiativen verstärkt dafür ein, das Thema Abwasserreinigung anzugehen. Im August 1989 gab es dann das erste und zugleich einzige deutsch-deutsche Umweltschutzabkommen. Es sah den Bau von Abwasserreinigungsanlagen entlang der Elbe vor. Darin war auch der Bau der Kläranlage Wittenberg verankert."
Die dann in Verantwortung der Stadt errichtet wurde?
"Genau. Die Kommunalgesetzgebung nach der Wende hatte den Kommunen ja ganz klar die Zuständigkeit für das Thema Abwasser übertragen. Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung entstand zum 1. Januar 1992 der Entwässerungsbetrieb als Eigenbetrieb der Stadt. Mit der Grundsteinlegung der Kläranlage am 18. Dezember 1992 startete der dann die praktische Ausführung der langersehnten Baumaßnahme.
Am 27. Januar 1995 ist die Gemeinschaftskläranlage feierlich übergeben und damit die jahrzehntelange direkte Einleitung ungeklärter kommunaler und industrieller Abwässer in die Elbe hier bei uns in Wittenberg beendet worden – eine wirklich gute Nachricht für die Reinhaltung der Elbe und die Umwelt insgesamt."
Stichwort Dimensionierung: Welchen Umfang sollte die Kläranlage bekommen?
"Das war damals die ganz große Frage und zugleich Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Der sinkende Trinkwasserverbrauch sowie veränderte Einleitwerte der Stickstoffwerke Piesteritz nach der Wende geboten es, die ursprünglichen Planungen für das Klärwerk zu überprüfen. Auch die Abwasserzusammensetzung hatte sich stark verändert. War man anfangs von zwölf Belebungsbecken ausgegangen, wurde diese Zahl auf acht reduziert. Gebaut worden sind am Ende vier Belebungsbecken. Damit hat sich die Kapazität der Kläranlage – heute 180 Einwohnergleichwerte (EWG) – halbiert. Auch die Dimension der noch nicht im Bau befindlichen Abwassersammler wurde nach unten angepasst."
Jahrelange Planungen, Umplanungen – war das nicht extrem kostentreibend?
"Das war es. Nach Inbetriebnahme der Kläranlage gab es erste Kostenschätzungen für die Gebührenkalkulation. Die lagen bei einem auch damals schon sehr hohen Preis von 9,36 DM pro Kubikmeter Abwasser."
Wie haben Sie reagiert, als Sie 1995 die Betriebsleitung übernahmen?
"Mit einer kritischen Bestandsaufnahme. So habe wir uns beispielsweise genau angeschaut, was noch gebaut werden sollte, welche Investitionen unverzichtbar waren und worauf wir vorerst verzichten konnten. Zudem haben wir uns im Entwässerungsbetrieb auf die Suche nach Optimierungspotenzialen begeben. Daraus entstand ein Plan mit bis zu 50 Einzelmaßnahmen, die sukzessive in Angriff genommen wurden. Eine Maßnahme, um Synergien zu erschließen, war zum Beispiel die Übertragung der kaufmännischen Betriebsführung des Entwässerungsbetriebes an die Stadtwerke am 1. Februar 1996."
Stichwort Cross-Border-Leasing – was hat es damit auf sich?
"Der mit einem US-amerikanischen Investor geschlossene Leasingvertrag war eine von mehreren Maßnahmen, um die Kapitalkosten des Unternehmens zu senken. Unsere Banken hatten uns das empfohlen. Im Mai 2000 schloss unser ehemaliger Oberbürgermeister Eckhard Naumann im Auftrag der Lutherstadt ein entsprechendes Vertragswerk mit einem US-amerikanischen Investor ab. Ohne dass die Eigentumsrechte davon betroffen waren, konnte die Stadt Wittenberg mit diesem, damals nicht selten genutzten Finanzierungsinstrument einen Barwertvorteil von 8,8 Millionen Euro erzielen. Der Vorteil für den Investor lag darin, durch Abschreibungsmöglichkeiten Steuern in den USA zu sparen.
2020 wurde dieses Leasinggeschäft beendet. Und zwar deutlich früher als geplant. So konnten wir einen weiteren Vorteil von rund 0,3 Millionen Euro erzielen."
Neben der Kläranlage gehören auch Kanäle, Pumpstationen etc. zum Abwassersystem. Wie war da die Lage?
"Auch hier wurde fortan kräftig gebaut. Neue Schmutz- und Regenwasserkanäle mussten her, um die abwassertechnische Erschließung bisher nicht an das Kanalnetz angeschlossener Straßen und Stadtteile zu ermöglichen. So maß das Kanalnetz 1990 etwa 100 Kilometer, inzwischen sind es 340 Kilometer. Von 1990 bis 2010 entstanden rund 225 Kanalkilometer neu, in den Folgejahren weitere rund 15 Kilometer. Damit ist die abwassertechnische Erschließung in der vorhandenen Bebauung im Wesentlichen abgeschlossen. Heute liegt der Anschlussgrad im Übrigen bei 97 Prozent. Unser Augenmerk gilt nunmehr der Erhaltung und Sanierung des bestehenden Netzes. Immerhin sind die ältesten Kanäle bereits über 100 Jahre alt. Durch die Sanierung verlängern wir ihre Lebensdauer um weitere rund 60 Jahre. Darüber hinaus bekommt natürlich auch jede Neuerschließung ihren zentralen Abwasseranschluss."
Welche Effekte erzielen Sie mit der 2011 errichteten Klärschlammfaulung?
"Damit nutzen wir den im Zuge der Abwasserbehandlung anfallenden Klärschlamm. In unserem Blockheizkraftwerk (BHKW) entstehen daraus in Kraft-Wärme-Kopplung zugleich Strom und Wärme, die wir im Entwässerungsbetrieb selbst verbrauchen und somit nicht mehr einkaufen müssen. Durch die Nutzung des Biogases erzeugen wir rund 30 Prozent unseres Stromverbrauches selbst und sparen den überwiegenden Teil des bis dato erforderlichen Erdgases ein. Auch die Tatsache, dass wir deutlich weniger Klärschlamm entsorgen müssen, führt zu Einsparungen. Seit 2021 läuft ein zweites BHKW im erweiterten Probebetrieb. Es ermöglicht eine Verdopplung der Eigenstromerzeugung, sodass der Entwässerungsbetrieb künftig 60 Prozent seines Strombedarfes selbst decken kann."
Seit mehreren Jahren arbeiten Sie auch mit Ihren Nachbarn eng zusammen?
"Ja, bei uns heißt das interkommunale Zusammenarbeit. Seit 2016 verbindet uns eine solche mit dem AZV Elbaue-Heiderand. Wir tauschen Leistungen, Informationen und Wissen aus."
Wie präsentiert sich der Entwässerungsbetrieb heute?
"Wir sind sehr gut aufgestellt. Das betrifft die Einleitungsleistung der Kläranlage genauso wie deren Energieeffizienz, die Leistung unseres Kanalnetzes genauso wie die technologischen Standards und unsere Umweltbilanz. Auch in Kostenvergleichen mit anderen Abwasserentsorgern brauchen wir uns nicht verstecken. Ein Spiegel dafür sind die zentralen Abwassergebühren, bei denen es seit 1995 keine einzige Preiserhöhung ab."
Grund zum Ausruhen?
"Keineswegs. Stillstand gibt es bei uns nicht. Vielmehr befinden wir uns in einem permanenten Verbesserungsprozess, der Technologien und Energieeffizienz gleichermaßen betrifft. Ein Beispiel aus einem bunten Strauß von Maßnahmen ist das zweite BHKW. Andere Maßnahmen betreffen die Kanäle, eine geplante Havariebeckenerweiterung, eine Abluftanlage sowie Optimierungen in der Klärschlammfaulung. Auf der Kläranlage modernisieren wir die Automatisierungstechnik – und das bei laufendem Betrieb. Eine große Herausforderung für alle Beteiligten!
Bei der Kanalnetzsanierung setzen wir auf neue Technologien wie die sogenannten Inliner und haben damit inzwischen Erfahrungen mit Leitungsdurchmessern von DN 200 bis 600 sammeln können."
Sie engagieren sich auch im Gewässerschutz?
"Ja, und zwar von jeher. Mit dem seit Anfang 2021 geltenden neuen Wasserrecht haben wir unsere Anstrengungen zum Nachweis der Einhaltung aller Schutz- und Grenzwerte noch einmal deutlich erhöht. Auch bei der Betreuung der städtischen Gewässer – die sogenannten Gewässer zweiter Ordnung wie kleine Bäche, Dorfteiche, Feuerlöschteiche und Zisternen – ist unsere Fachexpertise gefragt. 2021 haben wir dafür im Auftrag der Stadt rund eine Million Euro investiert."